Das ehemalige Pfarrhaus der Friedenskirche
Vergangenheit und Zukunft
vom , verfasst von Rosemarie Scobel, Andreas Kastl und Diethelm Eckhardt
Im 19. Jahrhundert dehnten sich die Städte durch die Industrialisierung immer mehr aus. Auch Löbtau und Naußlitz, bis dahin kleine Dörfer, wurden stark wachsende Gemeinden. Neue Straßen und Wohnviertel gaben hier vielen Arbeiterfamilien ein Zuhause. Weil jedoch die Löhne gering waren, arbeiteten oft auch die Frauen in den Fabriken. Die Kinder kamen in der Kinderverwahranstalt unter, heute sagen wir Kindergarten. Baron von Burgk hatte dafür den Marien-Verein gegründet, der im Haus Herbertstraße 6, heute Emil-Ueberall-Straße, eine solche betrieb. Noch heute zieren die Initialen MV das Eingangstor des Hauses. In den Zimmern im ersten Stock wohnten zwei Diakonissen, die als Gemeindeschwestern alte und kranke Menschen pflegten.
Der Erste Weltkrieg brachte den Marien-Verein in finanzielle Schwierigkeiten. Er löste sich auf, und das Haus wurde der Friedens-Kirchgemeinde vermacht. Diese nutze es weiter, baute an und stockte auf.
Durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg änderte sich vieles. Die Friedenskirche konnte im Zuge des Notkirchen-Programms im Stil des Architekten Otto Bartning wieder aufgebaut werden. Das Pfarrhaus daneben blieb zerstört. Pfarramt, Gemeinderäume und Pfarrwohnungen richtete man in der Emil-Ueberall-Straße 6 ein. So wurde aus der Sozialeinrichtung des Marien-Vereins das Pfarrhaus der Friedenskirche.
Das blieb bis zur Fusion der Kirchgemeinden Frieden und Hoffnung im Jahr 1999 so. Seither sind nun Pfarramt und Gemeinderäume in der Hoffnungskirche angesiedelt. In die Wohnungen in den oberen Stockwerken der Emil-Ueberall-Straße 6 zogen Mieter ein, die nicht mehr Mitarbeiter in der Kirchgemeinde sind. Das Stadtjugendpfarramt nutzte zeitweilig die ehemaligen Gemeinderäume im Erdgeschoss.
Der Treff Emil, eine Einrichtung der Diakonie für arbeitslose Menschen, und der Umsonstladen haben eine Bleibe zu geringem Entgelt gefunden. Das Nebengebäude darf wegen Setzungen und Rissen im Mauerwerk gegenwärtig nur noch als Lager genutzt werden.
Inzwischen übersteigen die Betriebskosten die Mieteinnahmen und eine mögliche Sanierung unsere personellen und finanziellen Kapazitäten. Die Kirchgemeinde als Eigentümerin des Grundstückes muss also handeln. Seit Jahren wird das Thema im Kirchenvorstand beziehungsweise in der Kirchgemeindevertretung diskutiert. Eine grundlegende Entscheidung wurde nun getroffen: Wenn wir Gebäude und Grundstück nicht mehr für die Gemeindearbeit benötigen, sollten wir beides abgeben.
In unserer Landeskirche gibt es Grundsätze zum Umgang mit Grundstücken und Gebäuden: Grundstücke werden nicht verkauft, sondern verpachtet. Mit den Erträgen des Pachtzinses kann die Unterhaltung von Kirchen und Gemeindehäusern gesichert werden, denn diese haben nur selten Mieteinnahmen. Gebäude, die nicht wirtschaftlich sind, dürfen verkauft werden.
So soll auch das Grundstück Emil-Ueberall-Straße 6 verpachtet, die Gebäude aber verkauft werden. Zur angestrebten Veräußerung hat die Kirchgemeindevertretung eine Reihenfolge festgelegt, die dem früheren diakonischen Zweck des Gebäudes Rechnung tragen soll: Zuerst diakonische und soziale Träger bevorzugen, danach mit genossenschaftlichen Wohnträgern ins Gespräch kommen, zuletzt die Liegenschaft auf dem freien Markt anbieten. In den vergangenen Jahren gab es Gespräche mit diakonischen und sozialen Trägern. Diese haben aber zu keinem Ergebnis geführt. Gegenwärtig ist die Kirchgemeindevertretung in intensiven Verhandlungen mit einer Dresdner Wohngenossenschaft.
Unser Ziel ist, gute Wohn- und Lebensmöglichkeiten in Löbtau anzubieten. Ebenso soll die Unterhaltung der Gebäude, die für unsere Gemeindearbeit nötig sind, langfristig gesichert sein. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen; das Ergebnis ist offen.
Rosemarie Scobel, Andreas Kastl und Diethelm Eckhardt
für die Kirchgemeindevertretung Frieden und Hoffnung
„Das Haus soll ein nachbarschaftlicher Ort für den Stadtteil bleiben.“
Wie könnte es weitergehen mit dem Haus auf der Emil-Ueberall-Straße 6. Westwind hat dazu Steph Beierlein von der Initiative befragt, die aktuell mit unserem Kirchspiel verhandelt.
Wie seid ihr auf das Haus aufmerksam geworden?
Viele von uns engagieren sich in verschiedenen Initiativen, die das Haus schon seit Jahren nutzen. Im Viertel wurde bekannt, dass die Kirchgemeinde das Haus veräußern will. So entstand die Idee, es zu übernehmen und als Stadtteilhaus weiter zu nutzen, zu öffnen und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Haus soll ein nachbarschaftlicher Ort für den Stadtteil bleiben.
Gibt es da schon konkrete Ideen?
Die Interessengruppe hat sich zunächst einmal gemeinsam mit den bestehenden Mietern ein Konzept überlegt und verschiedene genossenschaftliche Modelle durchdiskutiert. Schlussendlich hat man sich für die neugegründete Genossenschaft WoGe entschieden, die sich besonders den Schutz sozialer Milieus zum Ziel gesetzt hat und verhindern möchte, dass Häuser wie dieses zu Spekulationsobjekten werden.
Wie ist der aktuelle Stand?
Aus der Interessengruppe hat sich eine Hausgruppe entwickelt, die sich aus aktuellen und zukünftigen Bewohnenden, Mitgliedern des Umsonstladens und des – nach dem Brand des Hauses auf der Wernerstraße obdachlos gewordene – Nachbarschaftscafés PlatzDa! und weiteren Unterstützenden zusammensetzt. Wir treffen uns regelmäßig und besprechen die nächsten Schritte. Mithilfe eines Crowdfundings konnten wir Geld aufbringen, um unter anderem einen Architekten zu beauftragen, der eine Baukostenschätzung für uns vorgenommen hat.
Wie wollt ihr das darüber hinaus notwendige Geld aufbringen?
Aktuell befinden wir uns in den Verhandlungen mit der Kirchgemeinde. Unser Ziel ist, den Pachtzins und den Preis für das Haus so zu verhandeln, dass wir bezahlbare Mieten anbieten können, vor allem im Hinblick auf die Mieter und Nutzer. Für die Finanzierung müssen wir einen Eigenanteil von 300.000 Euro aufbringen, den wir über Spenden, Nachrangdarlehen oder den Verkauf von Genossenschaftsanteilen zu erreichen suchen. Außerdem wurde bereits mit Banken verhandelt. Aktuell haben wir Absichtserklärungen in Höhe von etwa 250.000 Euro vorliegen. Wir sind also unserem Ziel nahe, aber die letzten Meter verlaufen schleppend.
Angenommen, ihr bekommt das Haus. Was wären die nächsten Schritte?
Wenn der Kaufvertrag mit der Kirchgemeinde steht und der Kredit beantragt werden kann, werden wir einige Sanierungsarbeiten in die Wege leiten, zum Beispiel die Fenster aufarbeiten lassen oder eine Rollstuhlrampe bauen. Im ersten Stock soll Wohnraum für eine Einzelperson und eine WG entstehen. Im Erdgeschoss werden der Umsonstladen, der aktuell schon das EG nutzt, das PlatzDa! und der Treff Emil ein Zuhause finden. Außerdem stehen wir im Kontakt mit Willkommen in Löbtau, die ihr Beratungsbüro gern ins Haus Ueberall verlegen würde, da sie bereits den Garten und perspektivisch auch die PlatzDa!-Räume für Veranstaltungen und Treffen nutzen. Für das Hinterhaus hat sich bereits eine Gruppe gefunden, die dieses langfristig sanieren und bewohnen möchte.
Wo liegen die größten Herausforderungen?
Ganz klar: Den zukünftigen Mietpreis bezahlbar zu gestalten. Daher benötigen wir noch weitere Absichtserklärungen für den Kauf von Genossenschaftsanteilen, um mit dem größtmöglichen Eigenanteil ins Rennen zu gehen. Wer sich dafür interessiert, findet alle Informationen im Internet oder kann uns direkt ansprechen.