„Eine Zusage, die für immer gilt“

vom

© John William Waterhouse

Das Jahr neigt sich langsam dem Ende zu und ein Neues steht vor der Tür. Regelmäßig höre ich davon, dass es wieder ein Katastrophenjahr war – wie schon die vergangenen Jahre zuvor. Da fällt ein optimistischer Blick auf das kommende Jahr nicht leicht. Globale Krisen, Kriege und drohende politische Umbrüche sind kaum aus den Gedanken zu bekommen. Auch im eigenen Land machen die Wahlergebnisse Angst. Populistische Kräfte gewinnen hinzu und es scheint wieder alles möglich zu sein – auch alles Unmögliche. Vor einiger Zeit las ich sogar in einer Zeitung, dass nun die Büchse der Pandora geöffnet sei.

Die Redewendung „Die Büchse der Pandora öffnen“ basiert auf einer Geschichte aus der griechischen Mythologie.
Nachdem Prometheus das Feuer stahl und es den Menschen brachte, sann der Göttervater Zeus auf Rache. So ließ er Pandora erschaffen, eine Frau, die von den Göttern mit vielen verführerischen Gaben wie der Schönheit bedacht wurde. Zeus gab ihr eine Büchse, die sie den Menschen überbringen sollte, aber auf keinen Fall öffnen dürfe.
Hermes brachte Pandora als Geschenk Epimetheus, dem Bruder Prometheus. Obwohl ihm sein Bruder riet, dass er niemals ein Geschenk der Götter annehmen sollte, war er von ihr überwältigt und nahm sie zur Frau. In der Hochzeitsnacht konnte Pandora ihrer Neugier nicht widerstehen und hielt sich nicht an die Worte Zeus´. Sie öffnete die Büchse. Heraus kamen Elend, Leid und Unheil. Pandora versuchte die Büchse wieder zu schließen, aber es war zu spät. Sie fand in ihr nur noch einen Hauch, welchen Hermes heimlich in die Büchse legte. Es war die Hoffnung. Das, was die Menschen weitermachen lässt, auch wenn Übel und Leid sie plagen. Das goldene Zeitalter der Menschen war vorbei. Und so heißt es auch heute noch im Volksmund bei drohendem Unheil, dass die Büchse der Pandora geöffnet wurde.

Zu welcher Zeit dieser Spruch wirklich angemessen ist, oder ob ständig weitere neue Büchsen der Pandora geöffnet werden, darüber weiß ich kein Urteil. Interessant finde ich aber, dass bereits in diesem alten Mythos – bei allem Übel – die Hoffnung steckt. Wenn die Büchse der Pandora geöffnet wird, dann findet sich darin auch stets die Hoffnung.

Friedrich Nietzsche deutete die Hoffnung selbst als das übelste aller Übel, das die menschliche Qual letztlich nur verlängert.

Ist Hoffnung – „unsere“ Hoffnung – wirklich so? Ich empfinde die christliche Hoffnung ganz anders. Sie ist nicht abhängig von wankelmütigen Göttern aus einem fernen Olymp, die nach eigener Lust handeln, die Rache an Menschen nehmen und uns als eigenes Vergnügen betrachten. Der Gott, der sich in Jesus Christus offenbarte, ist der Gott, der seine Geschöpfe liebt. Auf ihn können wir vertrauen und hoffen. Er zieht sich nicht launisch zurück. Im Gegenteil. Er sagt uns zu: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Diese Zusage gilt für immer, im Leben und bis in den Tod, und sogar bis an das Ende von allem. Darin gründet sich unsere christliche Hoffnung.
Die Hoffnung, die uns weitermachen lässt, bewahrt uns nicht vor schweren Zeiten. Aber deswegen ist sie nicht das übelste Übel. In allem Leid ist Gott bei uns. Er selbst ist in Jesus Christus Mensch geworden und in schwerste Not geraten, bis zum Kreuz. In schweren Stunden ist er an unserer Seite. Wie eine Mutter, die am Bett ihres kranken Kindes sitzt und die Hand hält, die tröstet und umarmt, die mit und um uns weint, persönlich da ist. Und die sich mit uns freut, wenn wir Erfolge feiern, die mit uns lacht und tanzt. So ist christliche Hoffnung nicht nur auf die dunklen Seiten des Lebens bezogen, sondern auf unser ganzes Leben. Gott will nicht nur in den schweren Zeiten bei uns sein, sondern in allen.

Mit dem Kirchenjahr gehen wir dieser, unserer Lebenshoffnung nach. Es beginnt im Advent, geht über Weihnachten und Ostern bis zum Ende am Ewigkeitssonntag. Jedes Jahr beginnt dieser Kreislauf aufs Neue, der uns von der Freude bis zum Leid führt, vom Anfang bis zum Ende, vom Ende bis zum Anfang - ein verlässlicher Lauf, der uns Struktur geben kann und die Möglichkeit bietet, dass wir auch die anderen Seiten des Lebens nicht aus den Augen verlieren. So wird deutlich, dass zum Leben auch der Tod gehört, das Ende aber auch wieder ein neuer Anfang bedeutet. Trotz aller Vergänglichkeit, trotz aller Katastrophen der zurückliegenden Jahre – und der kommenden – wird Gottes Weg mit uns weitergehen.

Das ist eine Hoffnung, die nicht am Boden einer Büchse versteckt ist, sondern lebendig in unserem Leben wirkt – und damit eben eine Lebenshoffnung ist. Dem neuen Jahr möchte ich mit Zuversicht und Gewissheit entgegenblicken.
Was da auch kommen mag, Gott ist verlässlich an unserer Seite. Denn die Zusage aus Matthäus 28,20 bleibt.
Eine Erfahrung, die ich Ihnen immer wieder wünsche.

Sebastian Schäller
Vikar im Kirchspiel Dresden West