„Gute Nachrichten für religiös Geplagte“
Interview mit Jörn Bohn zu seinem Buch: „Die Kunst, nicht loszulassen“
vom

Jörn, was hat dich dazu inspiriert, deine Andachten in einem Buch zu veröffentlichen?
Im Alter von ungefähr 50 Jahren dachte ich: „Ich bin jetzt 50 und seit knapp über 40 Jahren gläubig. Da muss doch irgendetwas hängen geblieben sein, was sich für ein Buch eignet.“ Als Prädikant habe ich irgendwann das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und einfach die Predigten aus den Gottesdiensten, die ich hier in Löbtau hielt, in das Buch gepackt. Darüber hinaus beinhaltet das Buch – und auch da wieder zwei Fliegen mit einer Klappe – meine Andachten aus dem Senfkorn, dem ehemaligen Gemeindeblatt aus Löbtau. Dazu kommen neue, unveröffentlichte Texte.
Wie sind die Themen für die Andachten in deinem Buch zu dir gekommen? Gab es etwas, das dich im Alltag besonders inspiriert hat?
Meistens sind es Themen, die mir irgendwie im Laufe des Alltags bewusstwerden. Geistliche Themen, Dinge, die mir aufgefallen sind, über die ich nachgedacht habe oder über die ich Lust hatte nachzudenken. Die Themen sind sozusagen auf natürlichem Weg zu mir gekommen. Ich musste sie nicht suchen. Und dann habe ich sie einfach vom Lebensbaum heruntergepflückt.
Viele der Texte stammen aus den Gemeindemagazinen oder Impulsgottesdiensten. Hast du darüber schon einmal Rückmeldungen aus der Gemeinde bekommen und wenn ja, welche haben dich besonders bewegt?
Nach den Impulsgottesdiensten gab es immer wieder positive Rückmeldungen. Ich wusste manchmal nicht, ob die Leute mir das nur sagten, weil ich quasi kein Pfarrer bin und mich loben wollen. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass die Leute meine Predigten tatsächlich gut fanden und nicht einfach nur nett sein wollten. Zwei- bis dreimal gab es auch kritische Rückmeldungen über die eine oder andere politische Aussage. Christlicher Glaube ist aber immer auch politisch, wenn er lebendig ist. Die Botschaft Jesu von Gottes neuer Welt ist zutiefst politisch. Wenn man aneckt, dann macht das aber auch nichts. Theo Lehmann hat mal gesagt: „Hat sich niemand bekehrt? Hat sich niemand beschwert? Dann war die Predigt auch nichts wert.“ Heutzutage schreibe ich lieber, als dass ich predige. Am schönsten fand ich die Szene, als ich Thomas Fröhner aus der Gemeinde im Edeka traf und er mir sagte: „Jörn, deine Texte werden gelesen.“ Er fand die offenbar gut und das tat mir gut.
Gab es eine Andacht oder Predigt, die dir persönlich besonders am Herzen liegt? Warum?
Grundsätzlich sind alle Andachten in dem Buch erkämpfte und echte Texte. Ich habe keinen aus der hohlen Hand geschrieben, weil ich ein paar nette Worte brauchte. Alle sind eng mit meinem Leben verknüpft. Bei manchen Andachten habe ich den Text regelrecht aus mir herausgeschwitzt.
Dennoch gibt es einen Text, der mir besonders nah ist: „Gute Nachrichten für religiös Geplagte“. Ich komme aus dem evangelikalen Raum und wollte meinen Glauben sehr ernst nehmen – mit aller Konsequenz. Dabei geriet ich in eine Spirale aus Selbstbeobachtung, Schuldgefühlen und der ständigen Frage: Will Gott das von mir? Ist das vielleicht Sünde? Das hat mich über lange Zeit regelrecht zermürbt. Erst nach und nach begriff ich: Nicht Gott war das Problem, sondern meine Art zu glauben.
Später sprach ich in einer jüdischen Gemeinde mit zwei Menschen, die aus dem ultraorthodoxen Milieu ausgestiegen waren. Und plötzlich erkannte ich mich in ihren Geschichten wieder: dieselben Ängste, derselbe Druck, dieselbe innere Enge. Da wurde mir klar, dass religiöser Extremismus religionsübergreifend ähnliche Symptome hervorruft – im Judentum, Christentum und Islam. Es geht nicht darum, Gott aufzugeben, sondern einen Glauben hinter sich zu lassen, der unfrei und krank macht. Diese Erkenntnis ist der Kern dieser speziellen Andacht.
Wie bist du eigentlich zu deinem Verlag gekommen?
Grundsätzlich ist zu sagen: Wenn man ein Buch schreibt und keinen Namen hat, ist die größte Hürde, überhaupt einen Verlag zu finden, der sich mit den Texten beschäftigt. Ich habe mein Manuskript an ein paar Verlage geschickt, meist recht halbherzig – in der Annahme, dass der Text für sich spricht. War vielleicht etwas arrogant von mir. Einer meldete sich zurück, aber später stellte sich heraus, dass dort ziemlich konservative Ansichten vertreten wurden, etwa die Idee, homosexuelle Menschen therapieren zu wollen. Da war für mich klar: Das passt nicht – auch, weil ich mich im Buch ausdrücklich dafür ausspreche, Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Der Verlag hat sich nach einem positiven Erstkontakt dann auch nicht mehr gemeldet.
Dann kam der SCM-Verlag – ein größerer, christlicher Verlag. Obwohl sie mir zunächst abgesagt hatten, löste ein Text von mir wohl intern Diskus-sionen aus, und plötzlich bekam ich doch ein Angebot. Als ich las, dass sie 5.000 Exemplare drucken wollen, bin ich fast vom Stuhl gefallen.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem SCM-Verlag? Gab es besondere Herausforderungen oder Überraschungen?
Die Zusammenarbeit war durchweg wertschätzend. Der Verlag ist mit meinen Texten sehr behutsam umgegangen, hat kaum eingegriffen und mich in alle gestalterischen Fragen einbezogen – bis hin zum Cover. Nur an zwei Stellen wollten sie etwas entschärfen, das war’s.
Und: Einen ganz entscheidenden Anteil daran, dass das Buch überhaupt fertig wurde, hast du, Conrad. Ich war damals kurz davor aufzugeben – und du hast mich ermutigt, es zu Ende zu bringen und mir im Rahmen deiner Möglichkeiten deine Hilfe angeboten. Danke dir nochmal sehr dafür. Auch Thekla Brunner, die die erste Version lektoriert hat, möchte ich besonders danken.
Zu Glaube gehört auch die Gemeinschaft mit Anderen und dass Glauben gemeinsam gelebt wird. Wo, zu welcher Gemeinde, fühlst du dich verbunden?
Tatsächlich habe ich darüber immer mal wieder nachgedacht. Mein Gemeindehintergrund ist etwas exotisch. Früher bin ich mehr oder weniger ausschließlich in eine Gemeinde gegangen. Das hat sich irgendwie geändert. Ich hole mir mittlerweile geistliche Impulse aus vier verschiedenen Gemeinden; in zweien davon bin ich Mitglied. Alle vier Gemeinden sind mir wichtig, und ich bin in allen vier Gemeinden gerne zu Gast in der Art, wie mir das gut tut.
Da ist erstmal die Ev.-Luth. Kirchgemeinde Frieden und Hoffnung. Da komme ich her, da bin ich Mitglied, da bin ich Prädikant, und da bin ich jahrelang regelmäßig hingegangen. Zurzeit mache ich immer noch beim Impuls-Gottesdienst mit. Ich predige auch gerne in Frieden und Hoffnung, weil man eine große Freiheit hat, das zu sagen, was man meint.
Mit „traditionellen“ Gottesdiensten kann ich wenig anfangen. Ich war als Mensch schon immer sehr untraditionell, unkonservativ – mich hat das nie angezogen. Deshalb gehe ich noch in andere Gottesdienste; in letzter Zeit öfter in die Elim-Gemeinde. Das ist eine freie Gemeinde in der Neustadt. Die Leute dort sind total herzlich.
Du sprachst von vier Stellen. Welche sind das noch?
Ich bin auch Mitglied in der jüdischen Kultusgemeinde von Rabbi Akiva Weingarten – da bin ich sehr stolz drauf, dass ich dort Mitglied sein darf. Irgendwann lernte ich die jüdische Gemeinde als Bereicherung meines Glaubens kennen. Warum? Ganz einfach: Jesus war ja selber Jude, die Jünger waren alle Juden, die Schreiber der Bibel waren Juden. Und ich dachte, man kann doch für den eigenen Glauben ganz viel lernen, wenn man das Jüdische vertieft. In die Kultusgemeinde gehe ich sehr gerne, weil die Menschen total offen sind, total liberal, jeder kann da hinkommen. Die Kultusgemeinde hat ihren Ursprung daher, dass sich Aussteiger aus dem ultraorthodoxen Milieu fanden, denen die Jacke zu eng geworden ist. Ich stellte fest, dass das ein wenig mit meiner eigenen Glaubensgeschichte vergleichbar ist.
Die vierte Gemeinde ist die orthodoxe jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch. Manchmal verschlägt es mich dorthin. Ich mag dort, dass die Leute sehr fromm sind, sehr gläubig und auch sehr liebevoll.
Wenn du Mitglied in der jüdischen Gemeinde geworden bist, gab es da nicht Ärger? Du bist evangelischer Religionslehrer, kommt man damit klar?
Ich muss sagen: Erstens: Es hat nie Ärger gegeben. Zweitens: Unseren Superintendenten, Herrn Behr, habe ich schon mehrfach in der jüdischen Gemeinde getroffen. Und drittens: Unser Herr ist ja selbst Jude. Da hätte man sich schon bei ihm beschweren müssen.
Wie entstehen deine Andachten? Hast du einen bestimmten Schreibprozess oder besondere Rituale beim Verfassen?
Die Texte entstehen immer aus meinem Leben heraus. Ganz viele Texte sind so, dass ich mir über ein Thema Gedanken gemacht habe und langsam ein Text heranreift, und ich dann schon eine gewisse Substanz habe, die ich dann auf ein Blatt Papier bringen kann. Was aber manchmal dazukommt, ist, dass ich erst beim Schreiben weiß: Ach so! Das denke ich also darüber! Vorher ist es manchmal nur eine ungefähre Ahnung, später weiß ich es dann genau.
Für wen wurde das Buch eigentlich geschrieben? Was erhoffst du dir davon?
Ich habe ja schon gesagt, dass viele Dinge durch mein Leben gegangen sind, über die ich nachgedacht habe, mit denen ich zu kämpfen hatte. Und ich hoffe, dass jemand, der ähnliche Wegstrecken hinter sich hat, ähnliche Fragen stellt und mit meinen Texten etwas anfangen kann – dass sie ihm helfen. Das ist es, was ich mir davon verspreche.
Eine bestimmte Leserschaft hatte ich nie vor Augen. Viele Texte waren zunächst einmal Predigten an mich selbst – und das hat mir beim Schreiben sehr geholfen. Umso schöner ist es, wenn jemand sagt: Das spricht mich an.
Kannst du dir vorstellen, in Zukunft weitere Bücher zu schreiben? Gibt es vielleicht schon Ideen für ein nächstes Projekt?
Ja, die gibt es zuhauf (lacht). Ich habe Blut geleckt. Es gibt gleich drei Projekte, die schon angefangen sind. Zum einen arbeite ich mit meinem langjährigen Freund Andreas Schuss an einem zweiten Andachtsbuch, ähnlich wie diesem hier.
Gleichzeitig schreibt Andreas ein Buch über Gerechtigkeit und das Reich Gottes – darüber, wie Jesus auch Veränderung im Hier und Jetzt wollte. Ich unterstütze ihn dabei als Lektor, wir tauschen uns darüber ständig aus, wie in einem Tischtennisspiel.
Und beim dritten Projekt wirke ich ebenfalls mit: „Auf ein Bier mit dem Vaterunser“. Andreas trifft sich mit verschiedenen Christen und spricht bei einem Bier über einzelne Verse des Vaterunsers – auch da bin ich mit dabei.
Jörn, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit dem Buch.
Das Interview führte Conrad Jenschke
Jörn Bohn: „ DIE KUNST, NICHT LOSZULASSEN - Wolkig bis heitere Glaubensermutigungen für Realisten, die trotz allem an Gott festhalten wollen“,
208 Seiten, ISBN: 9783417010350, erscheint im August 2025 im SCM-Verlag

Jörn Bohn, Jahrgang 1971, ist Lehrer für Deutsch und Evangelische Religion an der 35. Oberschule in Löbtau. Er ist Prädikant und einigen bekannt aus den Impulsgottesdiensten. Darüber hinaus ist Jörn auch Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde. Er stammt aus dem Siegerland, ist ursprünglich evangelikal geprägt und hat sich lange Zeit in der Jugendarbeit des CVJM Trupbach engagiert. Er mag Heavy Metal, Kaffee, Sport und gute Gespräche unter Freunden. Seine Andachten sind autobiografisch geprägt, schauen über den Tellerrand und geben Einblicke in Fragen, Brüche und Zweifel. Manches wirkt auf den ersten Eindruck schlecht gelaunt, beinhaltet aber immer eine Prise Humor.
Im August veröffentlicht er sein erstes Buch: „DIE KUNST, NICHT LOSZULASSEN - Wolkig bis heitere Glaubensermutigungen für Realisten, die trotz allem an Gott festhalten wollen“.