Ich und der Vater sind eins. (Joh. 10, 30) – 1, 2 oder 3?
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Der berühmte Augenarzt Heinrich Jung-Stilling kam aus frommem Elternhaus. Als kleiner Junge saß er einmal im Apfelbaum des Nachbarn und schlug sich den Bauch voll. Der Nachbar sah den kleinen Apfeldieb und stürzte wutentbrannt in den Garten. „Das werde ich deinem Vater erzählen!“, brüllte er den Jungen an. Dieser antwortete allerdings schlagfertig: „Ich und der Vater sind eins!“. Eine lustige, kleine Anekdote. Doch ganz so einfach ist die zitierte Bibelstelle nicht. An der christlichen Lehre von der Trinität kann man sich nämlich die Zähne ausbeißen.
Kennen Sie das auch? Sie wollen beten und beginnen mit der Anrede: Herr Jesus,… und schon fängt man an zu stocken. Moment, geht mein Gebet an die richtige Adresse? Was ist mit Gott, dem Vater? Vom Heiligen Geist ganz zu schweigen. Ok, man beruhigt sich damit, dass Gott das Gebet schon hört und die korrekte Gebetsadresse wohl nicht das Problem sein kann. Aber kann man die Frage so einfach abtun? Und warum betet dann Jesus selbst zum Vater?
Das Osterfest rückt näher. Das Fest der Auferstehung Jesu. Oder müsste man Auferweckung sagen? Ist Jesus eigentlich aus eigener Kraft von den Toten auferstanden? Oder wurde er von Gott dem Vater auferweckt? Wäre doch interessant zu wissen? Ich hoffe, Sie können mir folgen. Ich finde die Frage knifflig und spannend. Paulus spricht konsequent von einer Auferweckung und er hat immerhin die frühesten christlichen Schriften verfasst.
Karfreitag das gleiche Spiel. In Johannes 3, 16 heißt es: Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Die Sachlage ist also folgende: Der Vater im Himmel opfert seinen Sohn, um für die Schuld der geliebten Menschen zu bezahlen.
Geht glatt runter. Aber auch nur, weil wir diese theologische Deutung gewohnt sind. Was würden Sie von einem Vater halten, der sein Kind von Verbrechern abschlachten lässt, damit die Nachbarskinder mit heiler Haut davonkommen? Noch dazu, wenn diese selbst Dreck am Stecken haben? Wird die Geschichte nicht logischer, wenn sich der Vater selbst in Liebe opfert? Sehen wir Gott selbst, wenn wir Jesus Christus anschauen?
Und jetzt habe ich noch nicht vom Heiligen Geist geredet. Was Pfingsten eigentlich gefeiert wird, das weiß außerhalb der christlichen Insider kein Mensch. Den Heiligen Geist als Gottes Kraft zu begreifen, ist ziemlich naheliegend. Aber wenn ich die Sache mit der Trinität richtig verstehe, dann ist der Heilige Geist eben keine Kraft, sondern eine Person. Er wäre eine der drei Facetten Gottes.
Mich wundert nicht, wenn die frühe Christenheit über die Trinität lange gestritten hat. Mich wundert auch nicht, wenn Muslime den Kopf schütteln über die Vorstellung, Gott habe einen Sohn. Wir bewegen uns ja tatsächlich an der Klippe zur Vielgötterei.
Die Dreieinigkeit Gottes ist ein großes Geheimnis. Wenn das unsere Vorstellung übersteigt, dann ist das kein Beinbruch. So sind Geheimnisse nun mal. Und wer hat behauptet, Gott wäre einfach zu begreifen?
Jörn Bohn
Ehrenamtlicher und Prädikant in unserer Gemeinde