Lasst uns über das Leben sprechen!
Hospizarbeit und Palliativversorgung
vom
Leid, Schmerzen, Trauer und Angst. Das ist es, was die meisten Menschen spontan mit dem Wort Hospizarbeit und Palliativversorgung verbinden. „Palliativ“ das kommt von dem lateinischen „Pallium“ und klingt nach einem alten, schweren, stickigen Lodenmantel, der einen fast erstickt, wenn man ihn trägt. Dabei ist es viel mehr und es geht vor allem um Lebensqualität, Hoffnung und Erleichterung. Es geht um das Leben!
In unserem Kirchspiel gibt es viele Menschen, die begeistert in diesem Bereich arbeiten. Mit zweien von ihnen habe ich mich länger unterhalten. Die beiden Brüder Andreas und Christian-Martin Müller sind gelernte Kinderkrankenpfleger, aber nun schon seit vielen Jahren in der Hospizarbeit und Palliativversorgung tätig. Wenn sie von ihrer Arbeit erzählen, dann bekommen sie leuchtende Augen. Gleichzeitig finden sie, dass es völlig selbstverständlich ist, was sie tun. „Wir tun, was die Kirche schon immer gemacht hat. Für andere da sein, schauen, wie es meinem Nachbarn, meinem Bekannten, der Frau oder dem Kind aus der Gemeinde geht.“ Heute nennen wir das caring community, pflegende Gemeinschaft. Früher sprach man in der Kirche einfach vom Dienst am Nächsten.
Es ist nicht mehr selbstverständlich, sich um andere Menschen zu kümmern. Gerade wenn es um Krankheit und Tod geht, ist für viele ein Tabu berührt, sie werden unsicher und ängstlich. Angst lähmt und macht sprachlos. Deswegen fällt es vielen Menschen schwer, über Krankheit und Tod zu reden und den richtigen Umgang mit Patienten und ihren Familien zu finden. Menschen, die krank sind, Erwachsene oder Kinder, haben individuelle Bedürfnisse und wünschen sich möglichst unbeschwerte Tage. Die Arbeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Hospizarbeit und Palliativversorgung ist es, genau diese individuellen Bedürfnisse zu sehen und Hilfe zu bieten. Sie tun das in multiprofessionellen Teams, weil es um das Leben in all seinen Facetten geht.
Es geht um körperliche, seelische, soziale und spirituelle Fragen, die alle gleichermaßen ihren Platz haben sollen. Alles, was dabei von den Familien und dem eigenen sozialen Netzwerk selbst geleistet werden kann, darf bleiben und wird unterstützt.
Hilfe ist nur da notwendig, wo sie auch gebraucht wird.
Den beiden Brüdern ist es wichtig, jeden Patienten in seiner Ganzheit zu sehen. „Wenn ich das Sterben als Teil des Lebens sehe, dann kann ich auch mit kranken Kindern einfach ich selbst sein, so wie mit jedem anderen auch“, sagt Andreas Müller. Die beiden Brüder haben selbst nach dem sehr frühen Tod des Vaters erlebt, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Und sie haben erlebt, wie gut es ihnen gerade als Kindern getan hat, dass sie traurig sein und sich trotzdem frei entfalten durften.
Das haben sie verinnerlicht und betrachten heute auch in ihrer Arbeit jeden Patienten einfach als Menschen.
Ganzheitlich, mit Würde und nicht nur auf den einen Teil Krankheit oder Schmerzen reduziert. So kann es für den fünfzehnjährigen Jungen mit einer unheilbaren Krankheit Gold wert sein, wenn sich jemand mit ihm über seine Leidenschaft Fußball und das Stadion von Real Madrid unterhält und nicht nur die neuen Medikamente bespricht.
„Lasst uns ins Gespräch über das Leben kommen“ könnte man das Motto ihrer Arbeit beschreiben.
Ein Gespräch über das Leben, das jeden Tag geschieht, und jeden Tag und für jeden einzelnen unterschiedlich ist. Alle Tage - bis zu den allerletzten – möglichst gut und unbeschwert zu gestalten, ist das Ziel der Hospizarbeit und Palliativversorgung. In Sachsen und speziell in Dresden gibt es in diesem Bereich inzwischen eine Vielzahl von Möglichkeiten.
Aus der ehrenamtlichen Begleitung von kranken Kindern und ihren Familien entwickelte sich das Brückenprojekt. Es knüpft eine Verbindung zwischen dem Leben der Familien zu Hause und den Aufenthalten in der Klinik. Die beiden Müllers beschreiben es so: „Zuerst waren wir nur ehrenamtlich in den Familien, die uns mit unglaublich viel Vertrauen in ihre innerste Privatsphäre gelassen haben. Dann haben wir gemerkt, wie gut es den Familien tut, wenn sie umfassend betreut werden können und ihnen ein Team zur Seite steht, das individuell helfen kann.“ Um diese Chance - auch mit einer Versorgungsgerechtigkeit - möglichst vielen geben zu können, wurde 2001 das Brückenprojekt gegründet.
Ein großes Team aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut seitdem lebensverkürzend erkrankte Kinder und ihre Familien. Seit 2019 gibt es das sächsische Kinderpalliativzentrum, dessen pflegerischer Leiter aktuell Christian-Martin Müller ist, zuständig auch für Qualitätssicherung und Risikomanagement. Sein Bruder Andreas, der das Brückenprojekt damals mit aus der Taufe gehoben hat, ist inzwischen Geschäftsführer für Verbands- und Gremienarbeit im Landesverband für Hospizarbeit und Palliativversorgung e. V. und ehrenamtlicher Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
Nach wie vor arbeiten die beiden Brüder eng zusammen und sind sich in ihren Überzeugungen einig. „Wenn wir auf die betroffenen Personen und ihre Familien schauen, dann können wir nichts falsch machen. Sie sagen uns, was sie brauchen und wir sagen es weiter.“ Damit wenden sie sich gegen den Trend, der nur ein immer schneller, höher, weiter kennt. Es geht einfach um das Leben, jeden Tag. Davor braucht niemand Angst zu haben. Im Gegenteil, es tut jedem – egal, ob krank oder gesund – gut, sich die Wünsche für das eigene Leben bis zum Lebensende bewusst zu machen. Und es tut gut, auch darüber zu sprechen. Als Christen neigen wir vielleicht manchmal dazu, alle Hoffnung auf die Ewigkeit zu legen. Tatsächlich aber gehören irdisches und ewiges Leben zusammen.
Es lohnt sich, für das Leben einzustehen, also lasst uns darüber reden!
Pfarrerin Margarete Aichinger