Was mich erfüllt, ist das enorme Gestaltungspotential“

Kirchenmusik im Kirchspiel Dresden West

vom

Wer heute über Kirche schreibt, merkt schnell, dass Strukturen immer wichtiger werden. Aber vor allem besteht Kirche aus engagierten Menschen, die sich als Gemeinde zusammenfinden. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie kann Emotionen transportieren. Im Interview mit unserem Kirchenmusiker Jonathan Auerbach haben wir mehr über seine Sicht auf die Musik im Kirchspiel erfahren.

Lieber Jonathan Auerbach, Sie
sind einer der beiden hauptamt-
lichen Kirchenmusiker in
Dresden West. Wie würden Sie Ihr
Arbeitsfeld und die Entwicklung
der Kirchenmusik im Kirchspiel
beschreiben?

Ich bin ja noch nicht so lange im Kirchspiel, und mein Blick auf die Kirchenmusik hat eine gewisse Briesnitzer Perspektive. Dort war ich vor meinem aktuellen Dienst bereits als Elternzeitvertreter angestellt, und dort leite ich aktuell die Kurrenden und die Kantorei. Dort habe ich auch mein Arbeitszimmer – von daher kann ich hier am ehesten eine Einschätzung abgeben...

Dann beginnen wir dort...
Die Kirchenmusik in Briesnitz hatte über viele Jahrzehnte einen bedeutenden Stellenwert, sogar auch überregional. Großbesetzte Werke, wie z.B. die Johannespassion und das Weihnachtsoratorium von Bach oder Mendelssohns Elias wurden jährlich aufgeführt! Mit der Kirchspielgründung 2006 war der Briesnitzer Kantor Christian Thiele nicht mehr nur für Briesnitz zuständig. Neben ihm gab es im damals neu gegründeten Kirchspiel mit Gerhard Ullmann und Ebba Wagner noch zwei weitere hauptamtliche Kirchenmusiker, eine weitere Teilstelle mit Katrin Häußler in der Gemeinde Frieden und Hoffnung und mit Herrn Werneburg einen orgelspielenden Pfarrer in Cossebaude.

Also viele festangestellte
Personen, die Kirchenmusik
organisierten und durchführten.
Wie wirkten sich dann die Struktur-
reformen der Landeskirche auf die
Kantorenstellen im Kirchspiel aus?

Das Kirchspiel hat in den letzten Jahren erhebliche strukturelle Veränderungen in der Kirchenmusik verkraften müssen. Hinzu kamen persönliche Veränderungen. Anfang 2022 hat das dazu geführt, dass keine unserer Kantorenstellen mehr besetzt war und das alles nach zwei Jahren mit Corona-Lockdown, fast ganz ohne Chorproben und ohne Gesang zu Weihnachten und Ostern. Man konnte meinen, die Kirchenmusik im Dresdner Westen sei tot, am Boden, erledigt. War sie aber nicht. Denn die Hauptamtlichen sind nicht alles! Der „Durst“ der Gemeindeglieder nach Singen und Musizieren und langjährige Traditionen ließen auf einen guten Neuanfang hoffen. Es brauchte ein neues Konzept für die Kirchenmusik in Dresden West, mit vielen Akteuren… Da wollte ich mich gern beteiligen.

Nicht gerade einladende
Startbedingungen, oder?

Ich spürte, hier gibt es engagierte Menschen, hier ist etwas im Werden, das lohnt sich! Die Konzeptgruppe aus Gemeindevertretern, Pfarrern, nebenamtlichen Kirchenmusikern und dem Kirchenmusikdirektor fand schnell einen guten Kompromiss und ließ sich auch durch die Streichung der C-Stelle in der Gemeinde Frieden und Hoffnung nicht demotivieren. Es wurden zwei völlig neue 70% B-Stellen geschaffen, deren Aufgabenbeschreibung sich nur bedingt an den alten Strukturen orientierte. Auf eine dieser Stellen bewarb ich mich erfolgreich. Seit Februar dieses Jahres ist auch die zweite Stelle besetzt, mit meinem geschätzten Kollegen Andreas Kastl. Wir sind im Kirchspiel und für das ganze Kirchspiel angestellt. So haben sich die Dienststrukturen weiterentwickelt. Darin liegt unsere große Chance. Neue Strukturen, ein neuer Kirchenvorstand und neues Personal mit hoher Motivation und viel Gestaltungswillen treffen zusammen. Übrigens gilt das auch für die Pfarrstellen, Gemeindepädagogik und die Verwaltung – hier gab es überall viel Bewegung.

Wie würden Sie die Stimmung
zur Kirchenmusik aktuell
beschreiben?

Ich nehme große Akzeptanz und Wertschätzung unserer Arbeit wahr, in allen Gemeinden. Die Stärke unserer Kirchenmusik ist ihre breite Aufstellung und ihre Vielfalt. Wir können in jeder Gemeinde Kurrenden und Chöre anbieten. Außerdem gibt vier Posaunenchöre, zwei Instrumentalkreise, mehrere Bands und viele weitere Projektinitiativen. All das ist nur möglich durch das breite Engagement von vielen neben- und ehrenamtlichen Kirchenmusikern und Kirchenmusikerinnen: Vielfalt der Beteiligten und der musikalischen Genres – teilweise ganz ohne Hauptamtliche.

Wie kommt denn jede Gemeinde
vor Ort an jemanden, der
sonntags Orgel spielt?

Zu meinem Stellenumfang gehört auch die Organisation der Orgelvertretungsdienste. Ich erstelle eine Liste mit Diensten, die Andreas Kastl oder ich selbst nicht übernehmen können und frage Vertretungen an. Wir haben großes Glück, dass wir in einer Region mit vielen Orgelspielenden Kirche gestalten und dass einige davon auch aktive Gemeindeglieder sind.

Wie gelingt die Zusammenarbeit
mit den Ehrenamtlichen?

Wie schon erwähnt, würde es die Kirchenmusik in der Region ohne die Neben- und Ehrenamtlichen nicht geben. Dazu zähle ich neben den wunderbaren Menschen, die Gruppen leiten, übrigens auch die vielen Eltern, die ihre Kinder zur Kurrende bringen und abholen, all die Sänger und Sängerinnen, die nach der Arbeit noch proben und z.B. Karfreitag vier Stunden eher in die Kirche kommen, all die Bläser und Bläserinnen, die zu Geburtstagen und Beerdigungen spielen, die Musiker und Musikerinnen, die sich selbständig zu einer Band formen, die Menschen, die Kuchen und Kaffee für die Pause bereitstellen, die Karten verkaufen und Werbung verteilen, die Podeste auf- und abbauen und und und… Vieles landet auch bei mir, aber ohne die Genannten würde gar nichts gehen. Wo ich immer über Unterstützung froh bin, ist die Betreuung und Verpflegung von Gastensembles oder Künstlern und Künstlerinnen, die in unseren Räumen musizieren. Da ist jede helfende Hand beim Aufschließen, Toiletten zeigen, Kuchen backen, Kaffee kochen etc. sehr wertvoll.

Wie würden Sie aktuell den
Beruf des Kirchenmusikers
beschreiben?

Der Beruf hat sich sehr verändert und immer weniger mit dem zu tun, was im Studium vermittelt wurde. Der musikalische Anteil, also Orgelspielen, Gruppen leiten, Konzerte aufführen usw. ist im Alltag deutlich geringer – obwohl genau das die Gründe für die Berufswahl waren. Größere Strukturen müssen mit weniger Personal organisiert werden. Wege und Kommunikation zwischen immer mehr Beteiligten kosten Zeit und Nerven: E-Mails schreiben und beantworten, Pläne machen und aktualisieren, das ist der Hauptteil meiner Arbeit. Was mich darin so erfüllt, ist das enorme Gestaltungspotential und die Freiheit der Entscheidung. Was wird gesungen? Wieviel und wann? Was übe ich auf der Orgel? Das bleibt mir überlassen, und diese Selbstständigkeit ist ein Privileg. Bei mir kommt außerdem hinzu, dass ich gerade noch mein A-Studium beende und dafür jede Woche Mittwoch bis Freitag nach Bayreuth fahre. Für das Studium muss ich üben und lernen etc. Die Tage füllen sich also schnell.

Haben Sie bestimmte Ideen oder
Träume, die Sie gern verwirklichen
wollen?

Ich würde gerne eine ambitionierte und gut strukturierte Kinderchorarbeit in unserem Kirchspiel aufbauen. Das heißt, dass wir neben vielen kleinen Kurrenden in allen Gemeinden auch eine größere mit älteren Kindern haben, die gut ausgebildet und sangesfreudig verschiedenste Projekte kirchspielweit realisieren kann. Außerdem habe ich den Traum, dass wir weiterhin die Aufführung großbesetzter Werke ermöglichen können. Das ist aufgrund steigender Kosten, großer stimmlicher Anforderungen und dem hohen Proben- und Organisationsaufwand nicht selbstverständlich.

Und für Sie persönlich?
Sie haben ja auch Familie...

Meine Frau hat auch Kirchenmusik studiert, möchte aber aktuell nicht in den kirchlichen Dienst treten und gründete Anfang des Jahres ein Unternehmen für bio-zertifizierten und nachhaltigen Schnittblumenanbau in Podemus, bei Dresden. Sie ist außerdem als Klavierlehrerin in Dresden und Radeberg angestellt. In Kombination mit meinem Studium und unserem 4-jährigen Sohn, ist die Strukturierung unseres Alltags eine spannende Herausforderung…

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihren Dienst!
Das Interview führte

Jens Beyer.